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Zweite Rezension
von Peter Schlumichel
über das Buch von
Bodo Gaßmann:
Moral als geistige Waffe gegen das kapitalistische System. Eine Streitschrift in fünf Akten
Garbsen 2025 (300 Seiten, Paperback, 21,- €)
Bei der folgenden Rezension weisen die „Erinnyen“ darauf hin, dass deren Inhalt dem von der Redaktion vertretenen Auffassungsspektrum diametral widerspricht. Wenn wir sie dennoch abdrucken, dann um eine solche Gegenposition ebenfalls zu dokumentieren. Den Inhalt dieser Rezension ordnen wir der Rubrik „Verfall der Vernunft“ ein.
Rezensiert von Peter Schlumichel :
Was in dem Buch von Gaßmann inhaltlich steht, wurde bereits in der Rezension meines Vorredners zusammengefasst. Ich komme deshalb gleich zum Grundsätzlichen: Die Metaphysik von Wesen und Erscheinungen, die Marx den Exkursen, die Gaßmann präsentiert, zugrunde legt, wird heute von keinem ernsthaften Denker mehr anerkannt. So wählt die Phänomenologie das aus, was dem Gemüt Eindruck macht. Und die moderne Ontologie geht von dem Seienden aus, das heute wirksam ist – ohne Mechanismen anzunehmen, die dahinterstehen sollen. Auch nach dem Existenzialismus von Heidegger ist dieser kein Humanismus, also ohne moralische Werte. Die eigenartige Vorstellung von praktischer Philosophie, wie sie noch bei Kant erscheint, ist längst veraltet, heute nimmt keiner mehr an, man könne moralische Werte anders denn als subjektive Behauptungen von Individuen ansehen. Universale Werte gibt es nicht. Und für den Positivismus gibt es ebenfalls keine objektiven ethischen Gedanken, weil nur Fakten objektiv sind. Der Verweis auf den moralischen Maßstab von Marx in seiner Kapitalanalyse ist bloß eine Behauptung des Autors – von Kant steht nichts im „Kapital“. Ein moralischer Maßstab, wie Gaßmann behauptet, ist bloß hineininterpretiert. Man sieht also, die ganze Konstruktion von Gaßmann in seinem neuen Buch hat keine theoretische Grundlage in der modernen Philosophie. Das haben auch linke Autoren, Materialisten meist, begriffen; so Lenin, wenn er sagt im Marxismus sei kein Gran Ethik; so heute der „Gegenstandpunkt“, dessen Autoren Moral nur noch satirisch abkanzeln oder als bürgerliche Ideologie entlarven, mit der das Bewusstsein der Arbeiter betrogen werden soll („Doppelmoral“).
Auch im Einzelnen ist deshalb alles zu bemängeln. Das Phänomen der Herrschaft, das der Autor moralisch denunziert, besteht schon so lange, wie es geschriebene Geschichte gibt. Herrschaft hat allererst Kultur und Zivilisation ermöglicht und schafft heute einen allgemeinen Wohlstand, der auch den Lohnabhängigen zu Gute kommt. Wenn gegenwärtig viele Techmilliardäre als kleine Schrauber in ihrer Garage und Programmierer in ihrem Kinderzimmer angefangen haben, dann beweist das, jeder kann, wenn er nur will und gescheit genug ist, vom Lohnabhängigen zum Unternehmer aufsteigen. Und für die, die das nicht schaffen, gilt was Hannah Arendt über die Arbeiterklasse gesagt hat: Sie sind „von Natur aus“ prädestiniert, mehr zu arbeiten als das, was sie als Lohn zurückbekommen.
Dass der Autor gegen die Neue Rechte mit ihrem geistigen Vater Carl Schmitt argumentiert, dem kann ich tendenziell zustimmen. Wir brauchen keinen neuen Hitler. Aber seine Kritik an der bloß technischen Vernunft dieser Richtung geht wieder zu weit: Alle heutigen Probleme lassen sich mit technischen Mitteln lösen, ist zu viel CO2 in der Atmosphäre, so werden bereits Techniken erprobt, die dieses Gas wieder aus ihr heraussaugen und unter der Erde verknappen.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zu seinem Aktionismus, der sogenannten moralischen Aktion. Sie ist berechtigt, wenn es um reformierbare Missstände geht, wie die Unterdrückung der Frauen im Iran, die unter dem Niveau der zivilisierenden Wirkung der kapitalistischen Ökonomie ist. Wenn er mit Brecht jedoch sagt, der Kapitalismus kann nicht sterben, er muss getötet werden, dann ist dem entgegenzuhalten, das „kapitalistische System“ mit seiner Arbeitsteilung und dem Weltmarkt ist die reale Menschheit, die unsterblich ist – jedenfalls solange nicht verrückte Politiker systemfeindlich einen Krieg mit atomaren Waffen anfangen. Dagegen hilft kein Pazifismus, sondern entsprechende Gegen-Rüstung.
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