PlatonAristotelesEpikurSpinozaLockeKantHegelMarxAdornoMarcuseBloch

         Erinnyen Logo   logoerinnyenaktuell     

Erinnyen AktuellPhilosophieseiteSchuledialektik InternetkurseDialektikvereinBuchladenWeblog / TagebuchRedakteur privat


Startseite Logo
Aktuelles Logo
Ethik und Moral Logo
ideologiekritik Logo
Soziales Logo
Politik Logo
Öffentlichkeit
kultur kunst buttom
Rezensionen Button
Button Medienstartseite
Archiv Logo
Kontakt/Links Logo
Über uns Botton

NewsletterAnmelgung

RSS-Feed Botton

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rezension

Arno Kaiser

Rezension von:

Bodo Gaßmann: Manifest der Autonomie der kritischen Philosophie.
Die geistige Situation der Zeit und die Aufgaben des emanzipatorischen Denkens, Garbsen 2023.

(Paperback; 212 S.; 12,00 €)

(Zu beziehen über: www.erinnyen.com
oder direkt: buecher@erinnyen.de)

Wer ohne philosophische Grundlagen politische Arbeit macht oder sich nur eine eigene Meinung jenseits des Privaten bilden will, der passt sich entweder den ökonomischen Zwängen an („unsere Wirtschaft“) oder sitzt der Propaganda oder gar Verschwörungsthesen auf. Das gilt auch für eine „Weltanschauung“ (die Welt als Ganze ist nicht anschaulich), einem Folgen des Mainstreams (der immer der Meinung der herrschenden Klasse folgt) oder ein (religiöses) Bekenntnis, das, praktiziert, selbstzerstörerisch wirkt. Der Autor des Manuskripts entwickelt auf 212 Seiten den Gedanken einer praktisch notwendigen philosophischen Fundierung unserer wissenschaftlich begriffenen Vorstellung der gegenwärtigen Zeit, die sich ihre geistige Autonomie gegenüber dem Bestehenden bewahrt. Im Abschnitt A stellt er die verallgemeinerten Erfahrungen der Weltgeschichte dar, wie die Wendung zur Subjektivität in der Frühneuzeit, das Unbedingte der Einheit des menschlichen Selbstbewusstseins, aus dessen praktischer Vernunft auch der Maßstab der Kritik („Moralgesetz“) an den bestehenden Verhältnissen resultiert, deren Wesen nicht mit der Rationalität der Menschen vereinbar ist. Er erörtert die Dialektik der Aufklärung an historischen Beispielen und kritisiert die Geisteswissenschaft als affirmativ mit Peter Bulthaup. Die Gedanken, die Gaßmann äußert, sind nicht neu, aber in dieser Zusammenstellung eine Provokation gegen selbstbewusstloses Philosophieren und Theoretisieren. Vor allem aber geht es ihm um falsche „Ansätze“ bei kritischen Theoretikern (oder solchen, die sich dafür halten), die Verfallsformen des Denkens oder ideologische Philosopheme unkritisch übernehmen. Dabei macht er bereits am Anfang deutlich, kritische Theorie stellt nicht nur Bestimmungen der gesellschaftlichen Realität objektiv dar, sondern negiert sie auch gedanklich, wie die Verhältnisse, die sie ausdrücken, damit sie auch praktisch überwunden werden können.
   Im Abschnitt B geht Gaßmann auf die historisch relativen Erkenntnisse der gegenwärtigen Epoche ein. Hier liegt für den Autor auch der Anlass, dieses Manifest zu schreiben. Viele linke Publizisten thematisieren alle Schäbigkeiten des Kapitals, um bei den möglichen Subjekten einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse Empörung zu evozieren. Sie setzen dabei auf die empirischen Erkenntnisse, haben aber keine historisch übergreifenden Prinzipien, sie negieren in der Tradition Adornos alle Metaphysik und merken nicht, dass ein Absolutsetzen der Empirie selbst bereits Metaphysik ist, und zwar die schlechteste, die es gibt – darin unterscheiden sie sich nicht von den Ideologen des Kapitals. Man kann nicht ohne Metaphysik argumentieren, auch die abstrakte Negation der Metaphysik ist Metaphysik. In diesem Zusammenhang vertritt der Autor die These: Das empirische Versagen der Arbeiterklasse angesichts der historischen Möglichkeiten, sich selbst und die Menschheit von Herrschaft zu befreien, lag nicht nur in der Reduktion ihrer Interessen am besseren Lebensstandard im Kapitalismus, statt ihren langfristigen Interessen zu folgen an der Abschaffung der Herrschaft, die sie zum bloßen Mittel einer verselbständigten Produktion um der Produktion willen macht. Sondern auch die falschen Theorien der Arbeiterbewegung, die bereits bei einigen Thesen von Marx anklingen, waren verantwortlich für dieses Misslingen.
- Das Pochen auf materielle Not ist zwar angebracht, aber kann systemimmanent auch im Kapitalismus behoben werden.
- Das bequeme Dogma von der theoretischen Notwendigkeit der Entwicklung zum Sozialismus ist argumentativ nicht haltbar und empirisch widerlegt.
- Geschichte ist immer auch von Zufall bestimmt, deswegen ist der freie (vernunfbestimmte) Wille der realen und potenziellen Akteure für eine Veränderung entscheidend – der aber wurde geleugnet oder als nebensächlich abgetan und dadurch die Autonomie und Würde der Menschen beschädigt. Das erlaubt die Bewusstseine der Menschen durch Propaganda zu bearbeiten, sodass sie sich als bloße Mittel vorkommen, wie sie es in der Fabrik tatsächlich sind.
- Auch ein falscher Idealismus spielt eine Rolle, als ob, wie bei dem Lukács von „Geschichte und Klassenbewusstsein“, die Erkenntnis der Verdinglichung der Menschen – durch die Partei vermittelt – schon ausreichen würde für politisches Handeln.
- Neben diesen historischen Fehlern herrscht heute bei kritischen Intellektuellen die Auffassung vor, aus der historischen Bewegung selbst müssten die Zwecke und Ziele der Veränderung gewonnen werden. Dieser geistlose Materialismus läuft darauf hinaus, normativ begründete Ziele zu negieren. Das Pochen auf die „bestimmte Negation“ des kapitalistischen Systems ist hohl, wenn es nur in einer abstrakten Negation dieses Systems besteht. Eine bestimmte Negation, die konträren Möglichkeiten folgen kann, setzt immer eine vorgegebene Norm voraus, auf die hin negiert wird. Eine solche bestimmte Negation setzt nach Gaßmann das Moralgesetz als normative Grundlage voraus, keinen Menschen zum bloßen Mittel zu machen, sondern ihn immer auch als Selbstzweck zu behandeln.
   Wenn hier jemand einwendet, warum soll das kapitalistische System überhaupt abgeschafft werden, wenn es doch allmählich den Menschen materiell besser geht? Dann antwortet der Autor: Der verselbständigte Zwang zur Kapitalakkumulation („Wachstum“)  zerstört nicht nur eine lebenswerte Umwelt auf der Erde, sondern hat auch einen allseitigen Imperialismus um Rohstoffquellen, Absatzmärkte, Kapitalanlagen und geostrategische Sicherung von Handelswegen zur Folge. Dieser Imperialismus, ob als Handelsimperialismus (Westeuropa) oder als gewaltsame Eroberung von Gebieten (heute Russland) führt die Erde an den Rand eines Weltkrieges, der mit atomaren Waffen geführt, unsere biologische Spezies auslöschen könnte. Rosa Luxemburg hatte die Alternative aufgestellt: Entweder Sozialismus oder Barbarei. Heute müsste man mit Gaßmann sagen: Freiheitlicher Sozialismus oder Untergang der Menschheit.
   Viele kritische Intellektuelle, für die ihr Dasein als Kritiker ein Privileg ist, verdrängen diese Alternative, indem sie in bloßer kritischer Kontemplation verharren. Dagegen hat Gaßmann den Abschnitt C gestellt. Da der kritische Intellektuelle auf Wahrheit verpflichtet ist, kann er sich nicht an politische Parteien binden, die immer auch Kompromisse machen müssen. Aber er kann mit Seinesgleichen eine kritische Gelehrtenrepublik bilden, die auf dem avancierten Stand der Vernunft, der nicht ohne die verallgemeinerten Erfahrungen der Weltgeschichte zu haben ist, ihre theoretischen Kontroversen austragen kann. Als kritische Theorie jedoch muss sie sich auch in die Gesellschaft einmischen, z. B. durch Kritik, Aufklärung und Bildungsarbeit. Dabei müssen die objektiven Bedingungen intellektueller Arbeit reflektiert werden (z. B. die neoliberale „Bologna-Reform“), materielle Abhängigkeiten usw., aber auch die subjektiven Bedingungen wie z. B. die klassische Unterscheidung von „Brotgelehrtem“ und „philosophischem Kopf“ (Schelling/Schiller). Zur Moral des kritischen Intellektuellen gehört das unbedingte Streben nach Wahrheit, für das der Autor den antiken Sokrates als historisches Beispiel angibt, im 20. Jahrhundert Peter Brückner. Gaßmann ist besonders prädestiniert, geistigen Opportunismus zu erkennen, weil er teilweise in der DDR und gegen diese seine geistige Bildung erfahren hat – er hat gelernt auch zwischen den Zeilen zu lesen und auch versteckte Anbiederungen an die Macht zu erkennen.
   Die kritische Gelehrtenrepublik, wie sie der Autor vorschlägt, existiert schon in Ansätzen, was fehlt ist ein bewusster Zusammenhang aller kritischen Geister. Die Organisation einer solchen Gelehrtenrepublik könnte in einer Vernetzung (z. B. durch eine Plattform im Internet) von Verlagen, Buchhandlugen, Institutionen und Einzelnen bestehen, die auch Kongresse, Kolloquien, Schulungskurse usw. veranstalten. Eine solche Gelehrtenrepublik soll keine „Transzendentalpolizei“ sein, wie linke Skeptizisten eine solche denunzieren, aber sie könnte nach Gaßmann sogar der geistige archimedische Punkt sein, an dem eine zukünftige Massenbewegung das System des Kapitals aushebelt.
   Zwischendurch, aber besonders am Schluss geht der Autor auf die Problematik seines Konzeptes und die Situation der kritischen Intellektuellen ein, die in einem radikalen Selbstbewusstsein besteht, dem das daseiende Subjekt der Veränderung fehlt.
   Der Autor hat einen weiten Blick, der die Erkenntnisse aus der Geschichte des Denkens ebenso einbezieht wie die geistige Situation der Gegenwart. Aber aufgrund der heute vorherrschenden Theoriefeindschaft („Theorieklimbim“), wird er wohl auf wenig Resonanz stoßen: den Praktikern scheint er zu kontemplativ zu sein, viele kritische Intellektuellen haben sich in ihrer akademischen Nische eingekapselt oder frönen ihre privaten Projekte und Liebhabereien. Dabei gehört es zur Tugendpflicht der Intellektuellen, die Wahrheit nicht nur zu erkennen, sondern sie auch zu veröffentlichen und mit Engagement zu verbreiten.

Zurück zum Anfang

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn Sie beim Surfen Musikt hören wollen:
Logo Radio


Weitere Internetseiten und unsere Internetpräsenz im Detail:

Archiv Logo

 

Audios, Fotos und Videos:

Medienseite Logo

Die letzten Ausgaben der Erinnyen können Sie kostenlos einsehen oder herunterladen:

Abildung Titel Erinnyen Nr. 15

Erinnyen Nr. 16 Titelbild

Erinnyen Nr. 17 Titelbild

 

Erinnyen Nr. 18
Erinnyen Nr. 18

logoNr. 19

Erinnyen20Logo

Logo Erinnyen Nr. 21

 

Nachrichten aus dem beschädigten Leben:

Tagebuch Weblog

Unsere Zeitschrift für materialistische Ethik:
Zeitschrift für materialistische Ethik Erinnyen

Unsere Internetkurse zur Einführung in die Philosophie:
Schuledialektik

Unsere Selbstdarstellung in Englisch:
Englische Seite

Die Privatseite unseres Redakteurs und Vereinsvorsitzenden:
Redakteur B. Gassmann

Unser Internetbuchladen:

Erinnyen Nr. 9 Bild

Ethiktiel Abbildung

Logiktitel Bild

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© Copyright: Alle Rechte liegen bei den Erinnyen. Genaueres siehe Impressum.

Letzte Aktualisierung:  01.03.2023

                                                                       
bbbbaaa